Die Antirassismusrichtlinie der europäischen Union verbietet seit 2000 Diskriminierung in zahlreichen Bereichen des öffentlichen Lebens. In Deutschland hat dies zur Formulierung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) sowie zur Gründung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) geführt. In Wissenschaft, Politik und auch Zivilgesellschaft wird seither darüber diskutiert, wie Diskriminierungen am besten erfasst werden können, um entsprechende Gegenmaßnahmen zu konzipieren. So wurde beispielsweise 2015 auf der Tagung „Measuring Ethnicity” am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen und 2016 auf der Tagung „Vermessung der Einwanderungsgesellschaft” an der Humboldt-Universität zu Berlin diskutiert, wie die zunehmende Diversität der Gesellschaft analytisch erfasst werden kann. 2016 unternahm schließlich die von der ADS veröffentlichte Studie „Diskriminierungserfahrungen in Deutschland“ den von Wissenschaft und Zivilgesellschaft eingeforderten Versuch, Diskriminierungserfahrungen differenziert zu erheben.
Ergebnis: knapp ein Drittel der Befragten haben nach eigenen Angaben in den zwei Jahren vor der Befragung Diskriminierung erlebt.
Sollte der Migrationshintergrund weiterhin erhoben werden, obwohl viele der Menschen mit Migrationshintergrund Deutsche sind?
Zentrale Fragen, die bei Erhebungen von Diskriminierungserfahrungen immer wieder aufkommen, sind u. a.: Dürfen und sollen Daten über die zugeschriebene „Rasse” von Menschen erhoben werden? Was ist Rassismus? Sollte der Migrationshintergrund weiterhin erhoben werden, obwohl viele der Menschen mit Migrationshintergrund Deutsche sind?
Mit dem Befragungsinstrument können erstmals alle Dimensionen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes differenziert erhoben werden.
Von Herbst 2015 bis Anfang 2018 haben wir uns als Team von Vielfalt entscheidet diesen und weiteren Fragen gewidmet. Anlass war die Entwicklung und Umsetzung einer Pilotstudie zu den Erfahrungen von Führungskräften der Berliner Verwaltung und landeseigenen Unternehmen mit der Förderung von Vielfalt und Chancengerechtigkeit. In diesem Kontext haben wir ein Befragungsinstrument entwickelt, das es erstmals ermöglicht, alle Dimensionen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes differenziert zu er- heben. Einige der Antworten auf häufige Fragen zu Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten wollen wir in dieser Broschüre mit Ihnen teilen, um den anwendungsorientierten und wissenschaftlichen Diskurs in Deutschland zu stärken. Wir richten uns mit der vorliegenden Broschüre an Akteur*innen in Verwaltungen, Unternehmen, der Zivilgesellschaft und Wissenschaft, die begonnen haben bzw. bereit sind, ihre Einrichtungen für mehr Vielfalt zu öffnen und Diskriminierung aktiv anzugehen. Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten haben das Potential, die Konzeption, Durchführung und Evaluation von Inklusions- und Antidiskriminierungsstrategien zu stärken. Dafür müssen sie bisher unberücksichtigte Lebenserfahrungen, Expertisen und Bedürfnisse von Menschen ins Zentrum rücken, die auf Grund der zunehmenden Vielfalt – gerade auch jüngerer Generationen – für Organisationen und Betriebe zur Zukunftsfrage werden. Voraussetzung ist jedoch, dass der Umgang mit Diskriminierung und der Abbau von Privilegien professioneller werden und mehr Menschen zu aktiven Gestalter*innen einer umfassenden und fortlaufenden Inklusion werden. Wir hoffen, Sie mit dieser Broschüre dabei zu unterstützen!
Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten haben das Potential, die Konzeption, Durchführung und Evaluation von Inklusions- und Antidiskriminierungsstrategien zu stärken.
Bereits ein kurzer Blick auf Passant*innen oder Mitreisende in Bus und Bahn zeigt: Wir leben in einer vielfältigen Gesellschaft. Diese Vielfalt ist seit Jahrzehnten alltägliche Realität in Deutschland. Sie spiegelt sich aber noch nicht in Verwaltungen und in Unternehmen wider. Die Belegschaften sind in der Regel sehr homogen. Ganze Bevölkerungsgruppen, wie zum Beispiel Menschen aus der arabischen oder türkischen Community, andere People of Color und/ oder Schwarze Menschen, sind in der öffentlichen Verwaltung oder im Management von Unternehmen selten und wenn, dann vor allem auf unteren Hierarchieebenen anzutreffen. Aber woran liegt das? Welche Ursachen und Auswirkungen hat diese Repräsentationslücke, wie stark ist sie ausgeprägt? Und was können Verwaltung und Unternehmen tun, um diese Lücke zu schließen?
Die Diskussion zu Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten ist in Deutschland noch relativ jung, daher gibt es noch keine allgemein anerkannte Definition. Auf europäischer Ebene heißt es in dem 2016 veröffentlichten European Handbook on Equality Data: „The notion of equality data is used in this handbook in reference to any piece of information that is useful for the purposes of describing and analysing the state of equality. The information may be quantitative or qualitative in nature. The main focus is on equality statistics, by which are meant aggregate data that reflect inequalities or their causes or effects in society.”
Ziel: Diskriminierung abzubauen / positive Maßnahmen zu formulieren anstatt „Köpfe“ zu zählen oder Zuschreibungen zu tä̈tigen.
Quelle: Vortrag Citizens For Europe, 11.09.2019 in München
Entscheidet man sich für die Erhebung von Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten, sollten folgende Hinweise bei der Konzeption einer solchen Erfassung Berücksichtigung finden.
1. Selbstidentifikation (Befragte können selbst angeben, wie sie sich identifizieren)
Die Selbstbeschreibung der Befragten zur Selbst- und Fremdwahrnehmung ist in die Erfassung von Diskriminierung (und damit auch von Teilhabe) einzubeziehen.
2. Freiwillige Teilnahme
3. Aufklärung über Sinn und Zweck der Datenerhebung
Bei der Erfassung ist immer deutlich zu machen, dass diese Erfassung in einem Antidiskriminierungskontext stattfindet. D.h. das Ziel der Befragung / Erfassung – die Überwindung von (struktureller) Diskriminierung – sollte offengelegt werden.
4. Anonymität der Befragten
5. Beteiligung von Vertreter*innen von diskriminierten Gruppen am Prozess der Datenerhebung, -analyse und -verbreitung
Von Seiten der Verwaltung sollte mehr Dialog mit den Betroffenen /„vermessenen“ Personen stattfinden, um deren gleichberechtigte Teilhabe es geht.
6. Möglichkeit, mehrere Identitäten, Diskriminierungsgründe und Fremdzuschreibungen anzugeben sowie eine intersektionale Auswertung
Mehrfachidentitäten / Mehrfachdiskriminierungen sollten mitgedacht werden.
7. Prinzip der Nichtschädigung (Daten dürfen nicht missbraucht werden)
Wer hat wann und wie Zugriff auf die (Roh-) Daten?
8. Arbeitsbereiche sind unterschiedlich
Man kann und sollte von anderen Bereichen lernen, muss aber auch die spezifischen Bedingungen im jeweiligen Feld berücksichtigen.
*Grundlage für die hier skizzierten Punkte ist sind die „Sieben Kernprinzipien für die Erhebung von Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten“, die von Citizens For Europe und den neuen deutschen organisationen im September 2018 herausgegeben wurden (gleich ≠ gleich – Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten & positive Maßnahmen für einen effektiven Diskriminierungsschutz)“ https://neuedeutsche.org/fileadmin/user_upload/Publikationen/RZ_NDO_Fact_ADGD_1_05.pdf sowie vertiefende bzw. ergänzende Einschätzungen aus dem Fachgespräch der Fachstelle für Demokratie im Jahre 2019.
Ein intersektionales Verständnis und die Analyse des Zusammenwirkens dieser Diskriminierungsdimensionen sind zentral für die Förderung von Vielfalt und den Abbau von Diskriminierung.
Quelle: Afrozensus (2020). Perspektiven, Anti-Schwarze Rassismuserfahrungen und Engagement Schwarzer, afrikanischer und afrodiasporischer Menschen in Deutschland.
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