Konferenz: Inklusion auf dem Prüfstand – wer fehlt im Raum?

Bei "Vielfalt in Zahlen - wie man Diskriminierung misst" sprechen wir über alles rund ums Thema ADGD – "Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten" - die Kernarbeit von "Vielfalt entscheidet - Data for Equity". Jeden Monat gibt es eine neue Folge.

In der ersten Folge interviewt unsere Moderatorin Thao Tran Dr. Lina Vollmer (Projektleitung von "Vielfalt entscheidet") und Juan Vivanco (wissenschaftlicher Mitarbeiter bei "Vielfalt entscheidet"). Es geht darum, wie Daten beim Abbau von Diskriminierung und Rassismus helfen können. Folgende Fragen werden beantwortet: Was und wofür sind ADGD, Wie tragen ADGD zum Abbau von Diskriminierung bei und wie wird Diskriminierung gemessen?

30.01.17 – Erstmals kamen in Berlin rund 20 Expert*innen aus von Rassismus betroffenen Communitys zusammen, um über das Thema Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsdaten zu sprechen. Die Veranstaltung bot einen Überblick über die Diskussion zu Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsdaten in Deutschland und Europa. Zudem gewährte sie Einblick in die Erfahrung und Expertise der Sinti und Roma Community. Im Anschlussstellte „Vielfalt entscheidet – Diversity in Leadership“ einen Fragebogen zur Diskussion, der es erstmals ermöglicht Mitarbeiter*innenumfragen durchzuführen, die die Vielfalt der Beschäftigten und deren etwaige Diskriminierungserfahrungen statistisch erfassen.

 

Mit Gleichstellungsdaten zu einer inklusiven Gesellschaft

Was haben Datenerhebung und Antidiskriminierungspolitik miteinander zu tun? Dieser Frage widmete sich Daniel Gyamerah, Projektleiter von „Vielfalt entscheidet – Diversity in Leadership“ mit seinem Einstiegsvortrag auf der Expert*innen-Konferenz mit dem Titel „Inklusion auf dem Prüfstand – wer fehlt im Raum“. Gyamerah hob hervor, dass Umfrageinstrumente entwickelt werden müssten, die es ermöglichen herauszufinden, wie vielfältig Institutionen aufgestellt sind und welche Strategien es gibt, um Diskriminierungen proaktiv entgegenzuwirken.

Um Diskriminierung zu vermindern und Chancengerechtigkeit für alle Bevölkerungsgruppen zu schaffen, bedarf es positiver Maßnahmen, die von Rassismus betroffene Gruppen fördern und ihre Lebenswelten berücksichtigen. Zuverlässige statistische Daten sind die entscheidende Grundlage, die solche positiven Maßnahmen ermöglicht. Ziel dieser Maßnahmen ist eine inklusive Gesellschaft. Vorbild für dieses Vorgehen ist die Erhebung von Gleichstellungsdaten im Bezug auf Frauen. Hier hat der Nachweis der Benachteiligung dazu geführt, Frauenförderung rechtlich festzuschreiben. In diesem Sinne können Daten ein Startpunkt sein, um notwendige Entwicklungen auch in Bezug auf von Rassismus betroffene Gruppen anzustoßen.

Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsdaten: Die europäische Perspektive

Auf EU-Ebene wird Datenerhebung als Mittel gegen Diskriminierung bereits genutzt und empfohlen.

Sarah Chander arbeitet beim „European Network Against Racism“, kurz ENAR. Das Netzwerk ist eine der wichtigsten Stimmen für Gleichberechtigung und vernetzt die Zusammenarbeit von über 100 zivilgesellschaftlichen Organisationen in Europa. Bei der Expert*innenkonferenz bezeichnete Chander Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsdaten als ein zentrales Instrument der Politikgestaltung. Außerdem seien die genannten Daten wichtig, weil sie helfen Diskriminierung in unterschiedlichen Dimensionen – auch bezogen auf das Geschlecht oder Behinderung – festzustellen und zu verstehen, so Chander. Zudem eröffneten sie die Möglichkeit, politische Fortschritte bzw. Rückschritte im Bereich Diskriminierung transparent zu machen. Sarah Chander führte die Teilnehmer*innen auch in die rechtlichen Grundlagen der Datenerhebung ein und stellte fest: Nach der europäischen Datenschutzrichtlinie ist die Erhebung von Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsdaten erlaubt!

Datenerhebung: Gefahren und Handlungsempfehlungen

Dr. Jane Schuch, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt Universität und Vorstandsmitglied der Hildegard Lagrenne Stiftung für Bildung, Inklusion und Teilhabe von Sinti und Roma, widmete sich in ihrem Vortrag zunächst der schmerzhaften Erfahrung der Sinti und Roma im Kontext der Datenerhebung. Bei ihrem historischen Rückblick startete sie bei dem ausgehenden 18. Jahrhundert. Schon damals begann die Tsiganologie mit der rassistischen Erhebung von Daten zu Sinti und Roma. Zur Zeit des Nationalsozialismus arbeitete die „Wissenschaft“ dann mit den Herrschenden Hand in Hand. In der Folge generierten und nutzten die Nationalsozialisten vorhandene Daten für die systematische Verfolgung und Vernichtung der Sinti und Roma.

Nach 1945 blieb die Tsiganologie weiterhin als Forschungsfeld erhalten. Konsequenzen aus den Verbrechen gab es kaum. Einen wichtigen Wendepunkt im Hinblick auf die negativen Erfahrungen der Sinti und Roma im Bereich der Datenerhebungen bildete, laut Dr. Schuch, die von ihr miterarbeitete „Studie zur aktuellen Bildungssituation deutscher Sinti und Roma“ von 2011. Im Rahmen der Studie wurden 275 deutsche Sinti und Roma aus drei Generationen zu ihrer Bildungssituation befragt.

Ausgehend von den historischen Erfahrungen der Sinti und Roma stellte Schuch Handlungsempfehlungen zur Erhebung von Daten vor. Diese wurden von einem bundesweiten Arbeitskreis von Expert*innen aus der Sinti und Roma Community gemeinsam erarbeitet und 2015 veröffentlicht. Im Hinblick auf die Sinti und Roma könne eine Abkehr von der negativen Tradition deutscher Wissenschaft nur erfolgen, wenn der gesamte Forschungsprozess, seine Ergebnisse und der Umgang mit den Ergebnissen macht- und rassismussensibel reflektiert würden, so Dr. Schuch. Zudem sollten wissenschaftliche Untersuchungen in diesem Bereich einer strikten Einhaltung forschungsethischer Grundsätze und der datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen verpflichtet sein. Dazu gehöre u. a. eine professionelle Anonymisierung von personenbezogenen Daten. Grundsätzlich müsse die Forschung in diesem Bereich partizipativ gestalten sein.

Ein Grundsatz, dem „Vielfalt entscheidet – Diversity in Leadership“ mit der Expert*innenkonferenz Rechnung trug. Die Teilnehmer*innen waren eingeladen den Fragebogen zu hinterfragen und darüber ins Gespräch zu kommen, wie sie und ihre Communitys erfasst werden möchten. Entsprechend lag ein Schwerpunkt der anschließenden Diskussion auf der Frage nach angemessenen Selbstbezeichnungen. Damit versuchte „Vielfalt entscheidet – Diversity in Leadership“ dem Grundsatz der Partizipation im Kontext von Gleichstellungsdaten gerecht zu werden. Die Teilnehmer*innen gaben detaillierte Hinweise und Vorschläge, auf deren Grundlage das Forschungsteam von „Vielfalt entscheidet – Diversity in Leadership“ den erstellten Fragebogen in den kommenden Wochen überarbeiten wird.

 

 

 

Fotos: Nihad Nino Pusija

Tags:

Verified by ExactMetrics